§ 1 SBGG

Ziel des Gesetzes; Anwendungsbereich

(1) Ziel dieses Gesetzes ist es,
1. die personenstandsrechtliche Geschlechtszuordnung und die Vornamenswahl von der Einschätzung dritter Personen zu lösen und die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu stärken,
2. das Recht jeder Person auf Achtung und respektvolle Behandlung in Bezug auf die Geschlechtsidentität zu verwirklichen.

(2) Medizinische Maßnahmen werden in diesem Gesetz nicht geregelt.

(3) Hat eine Person nach Artikel 7a Absatz 2 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche deutsches Recht gewählt, ist eine Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen nur zulässig, wenn sie als Ausländer
1. ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt,
2. eine verlängerbare Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich rechtmäßig im Inland aufhält oder
3. eine Blaue Karte EU besitzt.

Die folgenden Ausführungen sollen die Inhalte des Selbstbestimmungsgesetzes verständlich erklären. Es sind noch nicht alle Regelungen kommentiert. Sie bilden unseren jetzigen juristischen Wissensstand ab (Juli 2024). Wir beziehen uns auf den Gesetzestext und die Gesetzesbegründung. Gegebenenfalls ergeben sich zu einem späteren Zeitpunkt Anpassungsbedarfe. Unter dem Menüpunkt ‚Kritik‘ finden sich kritische Einordnungen des Gesetzes aus Perspektive von (Selbstvertretungs-)Organisationen.

Nur eine Person selbst kann sagen, welche Geschlechtsidentität sie hat. Deshalb verfolgt das SBGG das Ziel, die Änderung des Geschlechtseintrages und des/der Vornamen unabhängig von der Bewertung Dritter zu gestalten.
Die Änderung des Geschlechtseintrages und des/der Vornamen(s) sind zukünftig unabhängig davon, ob eine binäre oder nicht-binäre Trans*geschlechtlichkeit oder Intergeschlechtlichkeit vorliegt. Die Änderung erfolgt ausschließlich aufgrund der Erklärung einer Person selbst. Die Person muss sich nicht zu ihrer selbstempfundenen Geschlechtsidentität erklären. Sie muss nur erklären, dass der gewählte Geschlechtseintrag am besten zu der eigenen Geschlechtsidentität passt.
Für die Änderung des Geschlechtseintrages ist keine Vorlage von medizinischen Stellungnahmen oder Gutachten erforderlich.

Das Selbstbestimmungsgesetz regelt nicht, welche medizinischen Maßnahmen eine Person in Anspruch nehmen kann. Der Geschlechtseintrag hat keine Auswirkung darauf, welche Behandlungen eine Person benötigt. Dies bestimmt sich ausschließlich nach den jeweiligen individuellen körperlichen und psychischen Gegebenheiten. Welche medizinischen Behandlungen erforderlich sind und ob die Kosten für eine Behandlung (Therapie bis Operation) von den Krankenversicherungen übernommen werden, bestimmt sich nach dem Sozialgesetzbuch V und dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherungen.

Dieser Absatz im SBGG stellt klar, dass das auch nach wie vor so ist.

Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit können das Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrages und Vornamens nach dem SBGG in einigen Fällen nicht durchführen. Es kommt für sie auf den Aufenthaltsort und den Aufenthaltsstatus an. Grundsätzlich richtet sich die Geschlechtszugehörigkeit nach dem Heimatrecht einer Person (Art. 7a Abs. 1 EGBGB). Für staatenlose Personen oder nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannte Geflüchtete zählt der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland, nicht die Staatsangehörigkeit.

Die Änderung von Geschlechtseintrag und Vorname(n) ist nach § 1 Abs. 3 SBGG nur zulässig, wenn die Person nach Art. 7a Abs. 2 EGBGB für die Änderungen deutsches Recht wählt und wenn die Person „als Ausländer*in“
1. ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt oder
2. eine verlängerbare Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich rechtmäßig im Inland aufhält oder
3. eine Blaue Karte EU besitzt.

Deutsches Recht wählen/gewöhnlicher Aufenthalt:
Nur eine Person mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland kann deutsches Recht wählen. Der „gewöhnliche Aufenthalt“ wird im Selbstbestimmungsgesetz nicht genauer definiert. In der Regel wird darunter aber verstanden, dass ein tatsächliches längeres und nicht nur vorübergehendes Verweilen begründet wurde. Es kommt darauf an, wo der Schwerpunkt der sozialen Kontakte, der sogenannte Daseinsmittelpunkt liegt, insbesondere in familiärer und beruflicher Hinsicht.
Ein nur kurzer oder vorübergehender Aufenthalt (z.B. zu Besuchs- oder touristischen Zwecken) reicht nicht aus.

Die Erklärung zur Wahl des deutschen Rechtes muss gegenüber dem Standesamt abgegeben werden. Das Standesamt muss sie dann öffentlich beglaubigen oder beurkunden.

Aufenthaltsstatus:
Unionsbürger*innen haben ein unbefristetes Aufenthaltsrecht (nämlich Freizügigkeit). Sie können das SBGG-Verfahren durchführen. Anders ist das nur, wenn ihnen diese Freizügigkeit rechtswirksam entzogen wurde.

Personen mit einer Blauen Karte EU (EU Blue Card), also akademische Fachkräfte, können das SBGG-Verfahren ebenfalls durchführen.

Personen mit einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (Niederlassungserlaubnis) können das SBGG-Verfahren durchführen.

Personen mit einer befristeten, aber verlängerbaren Aufenthaltserlaubnis (z.B. Aufenthaltserlaubnisse aus familiären oder beruflichen Gründen) können das SBGG-Verfahren durchführen, wenn sie sich rechtmäßig im Inland aufhalten.

Asylberechtigte, nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannte Geflüchtete, subsidiär Schutzberechtigte und Personen mit einem Abschiebungsverbot erhalten in der Regel zunächst alle eine befristete, aber verlängerbare Aufenthaltserlaubnis (bis sie die Voraussetzungen für eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, also eine Niederlassungserlaubnis, oder eine Einbürgerung erfüllen). Sie können das SBGG-Verfahren also durchführen.

Personen im noch laufenden Asylverfahren (mit Aufenthaltsgestattung) haben kein unbefristetes Aufenthaltsrecht und keine Aufenthaltserlaubnis. Sie können das SBGG-Verfahren daher erst nach einem positiven Abschluss ihres Verfahrens und Erteilung der Aufenthaltserlaubnis durchführen.

Personen mit einer Duldung und Personen ohne Papiere sind nicht berechtigt, das Verfahren durchzuführen.

Staatenlose Personen und Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit können das SBGG-Verfahren nur durchführen, wenn sie die oben genannten Voraussetzungen erfüllen (also gewöhnlicher Aufenthalt im Inland und ein Aufenthaltsstatus nach § 1 Abs. 3 SBGG).

Nach oben scrollen