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Historie

Kleine Geschichte des Selbstbestimmungs­gesetzes

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Transsexuellengesetz (1981-2024)

Deutschland war 1981 eines der ersten Länder weltweit, das ein Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags einführte. Zugleich war das sogenannte Transsexuellengesetz geprägt von einem Verständnis von Transgeschlechtlichkeit als Krankheit. Die rechtliche Transition einer Person wurde unter enge staatliche Kontrolle gestellt und an die Erfüllung strikter gesellschaftlicher Vorstellungen von Geschlecht geknüpft. So musste zur Änderung des Geschlechtseintrags eine bestehende Ehe geschieden werden und die Antragstellenden mussten nachweisen, sterilisiert und geschlechtsangleichend operiert zu sein. Diese Voraussetzungen wurden nach und nach von trans* Menschen vor das Bundesverfassungsgericht gebracht, dort als verfassungswidrig erklärt und gestrichen.

Um Geschlechtseintrag oder Vornamen zu ändern, muss nach dem TSG ein gerichtliches Verfahren durchlaufen werden. Diese Gerichtsverfahren sind mit erheblichen Kosten von ca. 1500-2000€ verbunden, die die Personen meist selbst zu tragen haben. Noch bis zur Ablösung durch das SBGG im November 2024 besteht die sogenannte „Begutachtungspflicht“. Diese verlangt zwei unabhängige psychologische Gutachten, die darlegen sollen, ob die geschlechtliche Identität glaubwürdig sei, ob sie seit mind. drei Jahren bestehe und sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern werde. In diesen Begutachtungsverfahren werden regelmäßig sehr intime Fragen zum Sexualverhalten, sexuellen Vorlieben und Ähnlichem gestellt. Diese werden von Betroffenen als entwürdigend empfunden.

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Zwei Verfahren (seit 2018)

Das Bundesverfassungsgericht hat das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung immer wieder betont.

Bis 2017 existierten bereits die Geschlechtseinträge „weiblich“ und „männlich“, sowie seit 2013 der Geschlechtseintrag „ohne Angabe“. Das Bundesverfassungsgericht erkannte das Recht auf mindestens einen weiteren positiven Geschlechtseintrag jenseits von „weiblich“ oder „männlich“ an. Es stellte der Gesetzgebung auch frei, vollständig auf den personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag zu verzichten.

Ende 2018 wurde mit § 45b PStG in Umsetzung der Entscheidung der Eintrag „divers“ und ein Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags durch eine Erklärung vor dem Standesamt eingeführt. Voraussetzung war der Nachweis einer „Variante der Geschlechtsentwicklung“. Dieses Erfordernis, eine Bescheinigung vorzulegen, wurde von Inter-Organisationen als pathologisierend kritisiert. Politisch und auch praktisch blieb daneben umstritten, ob das standesamtliche Änderungsverfahren auch für trans* und nicht-binäre Personen offensteht. Der Bundesgerichtshof verwies nicht-binäre Personen ohne Attest über eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ 2020 schließlich auf das TSG. Somit gab es zwei Verfahren für die Änderung des Geschlechtseintrags, die beide fremdbestimmt waren: über eine Erklärung mit ärztlicher Bescheinigung vor dem Standesamt oder ein kostenintensives Gerichtsverfahren mit Begutachtungspflicht.

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Selbstbestimmung!​

Seit Jahren gab es Forderungen der queeren Communities nach einem Selbstbestimmungsgesetz. Dieses Anliegen wurde in mehreren Legislaturperioden nicht angegangen, obwohl verschiedene Regierungskoalitionen den grundsätzlichen Reformbedarf des TSG anerkannten. Unterstützung für die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes gab es lange Zeit nur aus der Opposition heraus: 2020 legten sowohl die FDP als auch die Grünen nahezu identische Entwürfe für ein Selbstbestimmungsgesetz vor. Beide Entwürfe wurden im Sommer 2021 im Bundestag abgelehnt. Im Herbst 2021 war es erstmals eine Regierungskoalition aus SPD, FDP und GRÜNE, die das Selbstbestimmungsgesetz als queerpolitisches Vorhaben in den Koalitionsvertrag aufnahm und 2024 letztendlich verabschiedete.

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