§ 9 SBGG
Zuordnung zum männlichen Geschlecht im Spannungs- und Verteidigungsfall
Die rechtliche Zuordnung einer Person zum männlichen Geschlecht bleibt, soweit es den Dienst mit der Waffe auf Grundlage des Artikels 12a des Grundgesetzes und hierauf beruhender Gesetze betrifft, für die Dauer des Spannungs- oder Verteidigungsfalls nach Artikel 80a des Grundgesetzes bestehen, wenn in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem die Änderung des Geschlechtseintrags von „männlich“ zu „weiblich“ oder „divers“ oder die Streichung der Angabe zum Geschlecht erklärt wird. Unmittelbar ist der zeitliche Zusammenhang während eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls sowie ab einem Zeitpunkt von zwei Monaten vor Feststellung desselben.
Die folgenden Ausführungen sollen die Inhalte des Selbstbestimmungsgesetzes verständlich erklären. Es sind noch nicht alle Regelungen kommentiert. Sie bilden unseren jetzigen juristischen Wissensstand ab (Juli 2024). Wir beziehen uns auf den Gesetzestext und die Gesetzesbegründung. Gegebenenfalls ergeben sich zu einem späteren Zeitpunkt Anpassungsbedarfe. Unter dem Menüpunkt ‚Kritik‘ finden sich kritische Einordnungen des Gesetzes aus Perspektive von (Selbstvertretungs-)Organisationen.
§ 9 SBGG ist eine Sondervorschrift im Selbstbestimmungsgesetz und gilt nur für eine klar umgrenzte Ausnahmesituation. Es muss zunächst ein Spannungs- oder Verteidigungsfall vorliegen oder unmittelbar bevorstehen. Die Vorschrift greift außerdem nur dann, wenn in diesem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang eine Person ihren zunächst „männlichen“ Geschlechtseintrag ändert. § 9 SBGG regelt dann, wer in dieser Situation zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden darf.
Spannungs- oder Verteidigungsfall
Ein Verteidigungsfall ist nur gegeben, wenn das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht. Der Bundestag muss mit Zustimmung des Bundesrates entscheiden, dass ein Verteidigungsfall vorliegt. Dafür sind zwei Drittel der abgegebenen Stimmen des Bundestages notwendig.
Der Spannungsfall ist die Vorstufe des Verteidigungsfalls. Auch hier muss der Bundestag mit einer Mehrheit von zwei Dritteln feststellen, dass eine gesteigerte Gefährungslage für die Existenz der Bundesrepublik vorliegt.
Die Hürden für einen Spannungs- oder Verteidigungsfall sind also ziemlich hoch.
Änderung des Geschlechtseintrages in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang
§ 9 SBGG greift, wenn eine Person ihren Geschlechtseintrag in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zueinem Spannungs- oder Verteidigungsfall ändert. Das gilt aber nur, wenn die Person ihren Geschlechtseintrag einen männlichen Geschlechtseintrag hat und diesen zu „weiblich“ oder „divers“ ändert oder den Geschlechtseintrag „männlich“ streichen lässt.
Das Selbstbestimmungsgesetz definiert dabei, wann ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit einem Spannungs- oder Verteidigungsfall gegeben ist: Entweder wenn der Spannungs- oder Verteidigungsfall bereits vorliegt oder wenn er innerhalb von 2 Monaten nach Abgabe der Erklärung nach § 2 SBGG festgestellt wird.
Was passiert, wenn ein Spannungs- oder Verteidigungsfall festgestellt wird?
Auch wenn ein Spannungs- oder Verteidigungsfall vorliegt, kann der Geschlechtseintrag geändert werden. Das Standesamt darf die Entgegennahme der Erklärung zur Änderung auch im Spannungs- oder Verteidigungsfall nicht verweigern.
Es geht bei der Vorschrift ausschließlich um die Frage, wer im Falle eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden darf.
Im Grundgesetz ist in Artikel 12a geregelt, dass im Spannungs- oder Verteidigungsfall (ausschließlich) Männer ab 18 Jahren zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden dürfen. Laut Gesetzesbegründung soll § 9 SBGG verhindern, dass sich Personen in einem Spannungs- oder Verteidigungsfall der Pflicht zum Wehrdienst entziehen können, indem sie ihren Geschlechtseintrag ändern. Personen, die während oder bei einem unmittelbar bevorstehenden Spannungs- und Verteidigungsfall ihren Geschlechtseintrag von „männlich“ zu einem anderen Eintrag wechseln oder diesen streichen, werden in Bezug auf die Wehrpflicht so behandelt, als ob sie noch einen „männlichen“ Geschlechtseintrag hätten. Diese Personen könnten also zum Wehrdienst verpflichtet werden, wenn die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags während des Spannungs- oder Verteidigungsfalls oder bis zu zwei Monate davor abgegeben wurde.
Der Dienst in der Bundeswehr ist aktuell freiwillig. Doch selbst wenn sich die Politik dazu entscheidet, wieder einen Wehrdienst einzuführen, der alle jungen Männer verpflichtet, greift § 9 SBGG noch nicht. Denn die Vorschrift findet nur in der Ausnahmesituation eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls Anwendung.
Die Änderung des Geschlechtseintrags findet aber, bezogen auf alle anderen Bereiche, statt. Auch dürfen nicht alle Personen zum Wehrdienst eingezogen werden, die früher einmal einen „männlichen“ Geschlechtseintrag hatten.
Unterstellung des Missbrauchs des Selbstbestimmungsgesetzes.
Das Gesetz bietet gleichzeitig keine Möglichkeit zur Überprüfung, ob die Änderung tatsächlich zur Umgehung des Dienstes an der Waffe gemacht wurde. Auch auf alle Personen mit bisher männlichem Geschlechtseintrag, die zufällig in den 2 Monaten vor einem Spannungs- oder Verteidigungsfall eine Erklärung nach § 2 abgegeben haben, findet die Regelung Anwendung. Hinzu kommt, dass gemäß § 4 SBGG alle Erklärungen mindestens 3 Monate vor Abgabe angemeldet werden müssen. Eine Möglichkeit, sich spontan in Vorahnung der Ausrufung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls, oder kurz nach dessen Ausrufung, zur Änderung des Geschlechtseintrags zu entscheiden, besteht nicht. Trotzdem können alle Personen, die von § 9 erfasst sind, innerhalb des zeitlichen Zusammenhangs zum „Spannungs- oder Verteidigungsfall“, zum Wehrdienst verpflichtet werden.
Nach Art 12a Abs. 2 GG kann der Kriegsdienst mit der Waffe verweigert werden. Die Person kann dann zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden. Gemäß Art. 12a Abs. 6 können im Bedarfsfall auch „Frauen“ zu zivilen Dienstleistungen verpflichtet werden. § 9 SBGG schafft somit auch hier keine wesentliche Veränderung, unterstellt aber einmal mehr Missbrauch des Gesetzes, insbesondere zum Nachteil von trans* Frauen.
Ausnahme: Unbilliger Härtefall
Von der Verpflichtung zum Wehrdienst –auch nach § 9 SBGG – kann es in sog. Härtefällen Ausnahmen geben. Ein Härtefall liegt vor, wenn die Heranziehung zum Wehrdienst für die betroffene Person aus persönlichen Gründen eine besondere Härte darstellt. In diesem Fall kann eine Person vom Wehrdienst freigestellt werden (§ 12 Abs. 4 WpflG). Ob das gegeben ist, muss allerdings im Einzelfall geprüft werden.