§ 4 Abs. 1 S. 4-6 PassG
Passgesetz
(1) […]
Die Angabe des Geschlechts richtet sich nach der Eintragung im Melderegister. Ist dort das Geschlecht nicht mit „weiblich“ oder „männlich“ angegeben, wird im Pass das Geschlecht mit „X“ bezeichnet. Auf Antrag ist in den Fällen des Satzes 4 ein Pass mit der Angabe „männlich“ oder „weiblich“ auszustellen, wenn durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung nachgewiesen wird, dass eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt.
Die Nachweispflicht gilt nicht, wenn der Passbewerber
1. über keine ärztliche Bescheinigung einer erfolgten medizinischen Behandlung verfügt und das Vorliegen der Variante der Geschlechtsentwicklung wegen der Behandlung nicht mehr oder nur durch eine unzumutbare Untersuchung nachgewiesen werden kann und
2. das Vorliegen der Voraussetzungen von Nummer 1 an Eides statt versichert.
Das nach Satz 5 einzutragende Geschlecht richtet sich nach der letzten Angabe des Geschlechts im Melderegister, welches auf „männlich“ oder „weiblich“ lautete. Bestand eine solche Angabe zu keinem Zeitpunkt, so kann der Passbewerber einmalig das im Pass einzutragende Geschlecht wählen; bis zur Eintragung eines Geschlechts im Melderegister im Sinne von Satz 7 bleibt das gewählte Geschlecht für die Ausstellung künftiger Pässe maßgeblich. […]
Die folgenden Ausführungen sollen die Inhalte des Selbstbestimmungsgesetzes verständlich erklären. Es sind noch nicht alle Regelungen kommentiert. Sie bilden unseren jetzigen juristischen Wissensstand ab (Juli 2024). Wir beziehen uns auf den Gesetzestext und die Gesetzesbegründung. Gegebenenfalls ergeben sich zu einem späteren Zeitpunkt Anpassungsbedarfe. Unter dem Menüpunkt ‚Kritik‘ finden sich kritische Einordnungen des Gesetzes aus Perspektive von (Selbstvertretungs-)Organisationen.
Mit dem Selbstbestimmungsgesetz wird auch das Passgesetz geändert.
Auf dem Reisepass ist - anders als auf dem deutschen Personalausweis - das Geschlecht einer Person angegeben. Mögliche Einträge sind F, M und X.
Die Angabe des Geschlechts richtet sich grundsätzlich nach der Eintragung im Melderegister. Divers-Einträge oder offene Einträge im Melderegister werden im Reisepass als „X“ bezeichnet.
Binärer Eintrag auf Antrag
Ein binär geschlechtlicher Geschlechtseintrag im Reisepass kann jedoch für internationale Reisen wichtig sein, wenn die Länder, in oder durch die gereist wird, nur weiblich oder männlich als Geschlecht anerkennen. Der Eintrag „X“ kann zu unangenehmen Nachfragen, Zwangsouting und weiteren Diskriminierungen führen.
Auf Antrag ist es daher möglich, dass Menschen mit divers- oder ohne Geschlechtseintrag einen binären Geschlechtseintrag im Reisepass bekommen können, also männlich oder weiblich. Diese Option steht jetzt aber nur noch Personen offen, die mit einer ärztlichen Bescheinigung nachweisen, dass sie eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ haben.
Im Reisepass eingetragen werden darf nur der binäre Geschlechtseintrag, der vor der Änderung zu divers oder der Streichung des Eintrags bestand. Gab es bisher keinen binären Eintrag, darf einmalig ein binärer Geschlechtseintrag gewählt werden.
Beispiel: Leo hat keinen Geschlechtseintrag. Um Diskriminierungen auf internationalen Reisen zu vermeiden, wählt Leo für den Reisepass den Eintrag „F“. Dazu muss Leo eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ nachweisen.
Was bedeutet „Variante der Geschlechtsentwicklung“?
Der Begriff „Variante der Geschlechtsentwicklung“ ist rechtlich sehr umstritten.
Wie schon bei der Debatte um die Anwendbarkeit von § 45b PStG (alte Fassung) meinen manche, dass sich der Begriff nur auf eine medizinisch diagnostizierte Intergeschlechtlichkeit bezieht. Medizinisch knüpft der Begriff „Variante der Geschlechtsentwicklung“ an den englischen Begriff “differences of sexual development“ an. Dieser Begriff legt Intergeschlechtlichkeit als (behandlungsbedürftige) Krankheit fest und wird daher deutlich kritisiert. Intergeschlechtliche Menschen wurden und werden teils bis heute ohne Einwilligung Operationen und Hormontherapien im Kindesalter unterzogen, die als Menschenrechtsverletzungen eingeordnet werden. Die in der Neuregelung des Passgesetzes vorgesehene Attestpflicht stellt daher eine sehr hohe Hürde dar. Eine solche Untersuchung geht regelmäßig mit sehr privaten Fragen und körperlichen Untersuchungen einher, die in die Intimsphäre einer Person eingreifen. Wenn eine Person eine solche Untersuchung nicht aus gesundheitlichen Gründen selbst wünscht, sondern lediglich durchführen lässt, um einen Reisepass zu erhalten, der vor Diskriminierung schützen kann, ist die Verhältnismäßigkeit eines solchen Erfordernisses fraglich. Eine medizinische Attestpflicht steht zudem im Widerspruch zum Regelungsanspruch des Selbstbestimmungsgesetzes: Von der pathologisierenden Fremdbestimmung hin zur Selbstbestimmung.
Um die Grundrechte der Betroffenen zu schützen, sollte der Begriff „Variante der Geschlechtsentwicklung“ daher weit verstanden werden.
Unterscheidung zwischen Personen mit und ohne Attest
Die Situation von nicht-binären Personen die intergeschlechtlich sind und Personen, die endogeschlechtlich (d.h. nicht intergeschlechtlich) sind, im internationalen Reiseverkehr ist vergleichbar. Der Eintrag „X“ kann für beide Personengruppen ein gleichermaßen großes Diskriminierungspotential bergen.
Durch das Selbstbestimmungsgesetz sollte die Unterscheidung zwischen nicht-binären trans* und intergeschlechtlichen Personen eigentlich aufgehoben werden.
Ausnahme von der Nachweispflicht
Es gibt eine Ausnahme von der Nachweispflicht: Sie gilt nicht, wenn die Person, die ihren Pass ändern möchte, ihre „Variante der Geschlechtsentwicklung“ infolge einer (wie oben dargestellt menschenrechtswidrigen) medizinischen „Behandlung“ nicht mehr nachweisen kann und auch keinen Nachweis für die erfolgte Behandlung hat. Das Vorliegen der „Variante der Geschlechtsentwicklung“ kann nicht mehr oder nur durch eine „unzumutbare Untersuchung“ nachweisbar sein.
Die Person, die ihren Passeintrag entsprechend anpassen möchte, muss das Vorliegen dieser Voraussetzungen dann an „Eides statt“ versichern, das bedeutet, dass sie vor der Passbehörde bestätigt, dass ihre Angaben der Wahrheit entsprechen. Eine falsche Versicherung an Eides statt ist strafbar.
Nur Änderung zum vorherigen Eintrag
Problematisch ist auch, dass nur der vorherige binäre Geschlechtseintrag verwendet werden darf. Sowohl bei nicht-binären endogeschlechtlichen als auch bei intergeschlechtlichen nicht-binären Menschen kann es gut sein, dass der vorherige binäre Geschlechtseintrag nicht mehr dazu passt, welches Geschlecht ihnen jetzt von anderen Personen zugeschrieben wird. Sie können etwa mal einen weiblichen Geschlechtseintrag gehabt haben, jetzt nicht-binär sein, aber einen Bart haben und daher häufig als Mann gelesen werden. Ein Pass mit dem Geschlechtseintrag „weiblich“ statt dem Geschlechtseintrag „divers“ würde dieser Person nicht helfen. Nur ein Pass mit dem Geschlechtseintrag „männlich“ könnte diese Person vor Diskriminierung schützen. Betroffene wissen selbst am besten, mit welchem Geschlechtseintrag sie Diskriminierungen bei Grenzübertritten vermeiden können